Harmlose Bilder ? Erweiterung des Malerischen - Versuch einer Standortbestimmung
von Wolfgang Hock 2015 Meine Bilder sind gegenständlich, d.h. man kann Figuren, Portraits, Landschaften, Architektur usw. erkennen. Heute sind diese Epigonen – unbedeutende Nachahmer ohne eigene Ideen – auch noch sehr dekorativ und gefällig geworden, es geht anscheinend nur noch darum, mit Bildern möglichst schnell und viel Geld zu machen.Meist wird dabei das Malmaterial sehr sichtbar in den Vordergrund gestellt, so dass diese Bilder in die Nähe von Kunsthandwerk, also angewandter Kunst rücken. Diese Annäherung, besser Verunklärung bzw. Verschleierung von Kunst und Handwerk halte ich für sehr gefährlich, weil sie der Kunst ihre eigentliche Bedeutung und Radikalität nimmt und sie dadurch verharmlost. Künstlerische Begabung hat mit handwerklichem Können nichts zu tun. Dabei hat der Bruch bereits so um 1910 stattgefunden – also vor mehr als 100 Jahren – mit dem Dadaismus (Marcel Duchamp mit seinen Ready-mades) und den ersten abstrakten Bildern (Wassily Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst 1912), von Hans Sedlmayr, dem Münchner Professor für Kunstgeschichte, 1948 mit dem Verlust der Mitte beschrieben - von konservativen Kreisen sehr geschätzt als Kritik an der Moderne insgesamt, was bis heute seine Auswirkungen hat. Dieser Verlust der Mitte war, dass die Welt verloren gegangen ist, d.h. der moralische und ästhetische Mittelpunkt. So hat sich der Begriff der „Avantgarde“ entwickelt: Ungegenständliche, abstrakte Kunst war das Radikale, etwas, was die überkommene Kunst in Frage stellte. So galt für lange Zeit das Verdikt, dass gegenständliche Kunst nicht Avantgarde sein konnte, sie galt als reaktionär. Heute im 21. Jahrhundert ist die Situation eine ganz andere, ja sie scheint geradezu invertiert: Die abstrakten Bilder in ihrer geschönten und gefälligen Variante sind längst salonfähig geworden, vom sog. „Mainstream“ vollkommen vereinnahmt. Dabei ist mir klar, dass ich nicht die Möglichkeit habe, es ebenso zu machen, sonst sind meine Bilder einfach nur harmlos. Ich will etwas machen mit dem Ziel, avantgardistisch, fortschrittlich, revolutionär, ja umstürzlerisch zu sein. Meine Bilder sollen sich dem Anerkannten widersetzen, sich gegen den Konformismus stellen, aber trotzdem dem zweidimensionalen Tafelbild verpflichtet sein.
2011 zurückgekehrt nach 18 Jahren Brasilien, einer sehr jungen multikulturellen Gesellschaft eines sog. „Schwellenlandes“ - was immer das auch sein mag – als Immigrant, nicht als Heimkehrer in die „alte Heimat“, in ein wiedervereinigtes Deutschland, das zu meinem Erstaunen immer noch an vielen überkommenen Traditionen und Identitäten festhalten will („die gute alte Zeit“), bis hin zu denjenigen Deutschen, die sich vollkommen von der „fremden“ Welt abschotten und weiter so tun wollen, als hätte sich in den letzten 25 Jahren seit dem Mauerfall nichts verändert. Dazu gehört z.B. auch das konstante Ignorieren der digitalen, virtuellen Welt mit allen ihren globalen Auswirkungen im Positiven wie im Negativen. Das alles akademisch professoral oder schulisch anzugehen, kam mir nie in den Sinn und bringt keine Lösung. Ich bin in Deutschland zur Zeit des sog. „Wirtschaftswunders“ geboren, bin in dem Deutschland, das von Amerikanern (den „Amis“) besetzt war, aufgewachsen. 1993 bin ich dann nach Brasilien gegangen und dort insgesamt 18 Jahre geblieben (Salvador, Rio de Janeiro, Curitiba und Fortaleza), wo ich den Überlegenheitsanspruch des Westens in seinen negativen Auswirkungen kennenlernte. Diese ideologischen Konfrontationen in der deutschen Vergangenheit haben mich dermaßen abgeschreckt, dass ich mich nie als Deutscher, aber auch nicht als Brasilianer gefühlt habe. Die ganze überkommene Idee der Staatsangehörigkeit, vor allem nach deutschem Muster mit Blutsverwandtschaft aus dem 19. Jahrhundert, ist mir total fremd. Von daher kommt meine Aversion, systemtreu sein zu müssen. Vor 25 Jahren war es der „böse Sozialismus“, heute ist es der „böse Islam“. Aber genau aus diesen erlebten sozio-kulturellen Konflikten beziehe ich meinen Antrieb für meine Kunst.
Der Rückzug aus dem wiedererkennenden Sehen konfrontierte die Malerei mit dem Problem, wie sie einer veränderten Wahrnehmungspraxis begegnen sollte. Genau da sehe ich die Schnittstelle für meine Bilder. Meine Bilder lassen Gegenstände erkennen, trotzdem sind sie in der malerischen Ausführung abstrakt. Ähnlichkeiten zur Realität, zur betreffenden Person, sind ein rein äußerlicher Nebeneffekt, Physiognomie oder psychologische Befindlichkeiten interessieren mich nicht.Der Gegenstand dient als Anlass des Bildes, er ist nicht Zweck der Darstellung.Die Wahl des Gegenstandes erfolgt aus persönlichen Neigungen, ist aber für den Betrachter nicht von Belang. Das Bild entfernt sich im Laufe des Entstehungsprozesses von meinen Intentionen und gewinnt eine eigene Existenz. Um die Malerei neu zu erfinden, muss das Vorhersehbare aufgebrochen werden, indem man das macht, was die Leute nicht sehen wollen. Respektlosigkeit ist notwendig. Dafür muss man sich von bereits bestehenden Bildern abwenden und den Betrachter auf unbekanntes Terrain führen. Das Gleichgewicht, die Harmonie, letztendlich die Schönheit der Kunst, stellt sich während des Malprozesses unbeabsichtigt ein. Die Absicht und der Weg dorthin sind verschieden. Die malerische Umsetzung hebt die inhaltliche Symbolik auf, zusammen mit der unprätentiösen Darstellung wird eine Antithetik von subjektiver Anschauung – persönlicher Lesart des Motivs – und objektiver Bildrealität erzeugt. Unterschiedliche Abstraktionsgrade, experimentelle formale Annäherungen an den Gegenstand zwischen Verdichtung und Auflösung verschieben das Bild in Richtung Abstraktion. Bei Betrachtung aus der Nähe ist nur noch die malerische Handhabung, die großen gestischen Pinselstriche, lineare Elemente und transparente Farbschichten, die sich mit darunter und daneben liegenden vermischen, sichtbar. Das bringt eine inhaltliche Entleerung der Gegenstände zugunsten einer abstrakten Auffassung der Form als autonome Funktion des Bildes. Dabei geht es, die Differenz zum Wiedererkennbaren sichtbar zu machen, zu entlarven, nicht zu verschleiern. Dazu entwickle ich immer wieder neue Bildmethoden, die konzeptuell sind. Die Synthese von Gegenständlichkeit und Abstraktion ist ein präzises durchdachtes Bildgerüst von Rationalität und spontanem Ausdruck. Es geht mir darum, das Bild immer wieder formal und inhaltlich aufzubrechen. Diese Antithetik findet auch auf der Ebene des Mediums statt: Für Viele stellt die Kunst mit ihren handgefertigten Bildern aus materieller Farbe die letzte Bastion dar, die die analoge Welt noch davor bewahrt, nicht ganz von der digitalen vereinnahmt zu werden, nachdem die Fotografie schon alles verloren hat, was sie einmal war. Gerade der Begriff der Avantgarde hält heute fest an einer analogen Bildwelt (auch Schwarz-Weiß-Fotografie und sogar Polaroid) und zeigt damit auch wieder diese typische Inversion auf, wie zwischen abstrakt und gegenständlich. Aber gerade diese Antithetik zwischen traditioneller Malerei und neuen digitalen Möglichkeiten fordern mich dazu heraus, die repressiv-konservative Haltung im wiedervereinigten Deutschland in Frage zu stellen, die wieder keinen Raum für Abweichung vom Konsens in gesellschaftlicher, politischer und künstlerischer Hinsicht zulässt. Meine Bilder sind total handgemalt, die subjektive Pinselschrift ist überall erkennbar, trotzdem sind sie nicht mit Öl- oder Aquarellfarben gemalt, ahmen diese auch nicht nach. Sie sind traditionell gemalt in einem neuen „unkünstlerischen“ Medium. Sie werden gedruckt in großen Formaten auf Büttenpapier oder Leinwand – wie Druckgraphik in einer kleinen Auflage. Sind es Reproduktionen ? Innerhalb der kleinen Auflage schon, aber es sind alles Originale nach einem digitalen Original wie die Druckplatte bei traditioneller Druckgraphik. Heute wird vor allem digitale Fotografie großformatig abgedruckt. Die digitalen professionellen Kameras haben sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter verbessert, was Auflösung und Bildschärfe angeht, und die analoge Fotografie bei weitem überholt: 24 Megapixel sind heute schon Standard, Hasselblad geht noch weiter bis 50, ja sogar 80 Megapixel. Die Entwicklung ist voll im Gange und schreitet immer weiter voran. Damit können großformatige Drucke hergestellt werden mit bisher unbekannter Auflösung und Präzision. Die Bilder erscheinen realer als die reale Welt, die Farben leuchten satt und die Welt erscheint schöner als sie ist oder besser, wahrer als bisher bekannt. Die Bilder von der Wirklichkeit erscheinen mächtiger als die Wirklichkeit selbst. Baudrillard hat recht gehabt, als er seine Medientheorie 1972 entwickelte. Meine Bilder sind digitale Drucke mit einer Auflösung von bis zu 200 Megapixel, also noch viel mehr als sie ein digitaler Fotograf im Moment zustande bringen kann. Aber sie zeigen keine fotografischen Abbildungen, keine fotorealistischen Details, keine fotografische Feinstruktur, sie zeigen transparente Farbflächen, Linien, Pinselstriche als Details, sie zeigen gemalte, handgemachte, handgezeichnete Bilder, die, aus einem Abstand betrachtet, gegenständlich sind. Auch hier an dieser Schnittstelle kommt es zu neuen Seherfahrungen, denn das Medium ist in Material und Raumwirkung neu: Keine Ölmalerei, keine Druckgraphik, kein Offset, keine Fotografie, keine Reproduktion. Die Bilder wirken wie Ölmalerei, Holzschnitte, riesige Aquarelle, Siebdrucke und doch sind sie anders als all das. Herkömmliche Erwartungen an das gemalte Bild, an die gedruckte Graphik oder an die digitale Fotografie werden in Frage gestellt. Das erzeugt Skepsis. Viele Betrachter lehnen meine Bilder ab, andere wohlwollendere meinen meine Bilder zu verstehen, aber sie verdrängen dabei immer einen Aspekt, den sie nicht sehen wollen, weil er ihr Verständnis stören würde. Die Skepsis, die man meiner Arbeit gegenüber hat, ist immer noch sehr groß. Man misstraut mir: Kann so etwas im Computer gemachtes originale Kunst sein? Aber genau das zeigt mir, dass ich richtig liege, weil meine Bilder die Erwartungshaltung verweigern. Sie beschönigen nicht, harmonisieren nicht, im Gegenteil, sie zeigen die Brüche auf. Sie irritieren, verunsichern, sind aber nicht auf didaktische Weise kritisch belehrend, sondern sie verfremden in dreifacher Hinsicht: Das gegenständliche Motiv mit seiner Symbolik und Inhaltlichkeit, die Malerei, die Gegenstände auflösend bis hin zur Unkenntlichkeit und Abstraktion und das Medium, das digitale Bild, aber handgemacht und original. Das computergemalte Bild ist dann doch wieder ein Tafelbild und erweitert den Malereibegriff, wobei es wieder malerisch wirkt und formal an die traditionelle Öl-Malerei erinnert. Die Gesellschaft mit ihren automatisierten Normen ist eine Autorität, mit der ich mich in Konflikt befinde. Meine Bilder zu malen stellt für mich die einzige Möglichkeit dar, mich geistig frei zu fühlen, befreit von der Tyrannei der Gesellschaft. Das Vermeiden von hergebrachten Kategorien ist vorausschauend in eine Zukunft weisend, in der Kategorien ins Wanken geraten sind und für Künstler keine Rolle mehr spielen, auch wenn Kritiker und Kunsthistoriker darauf beharren, sie als Stützen zu behalten. Es geht nicht darum, den bürgerlichen Kunstliebhaber oder den akademischen Kritiker zu verunsichern, sondern absurde gesellschaftliche Verbote und Tabus aufzulösen. Auch wenn ich mich in der Kunstgeschichte sehr wohl auskenne, versuche ich, ohne Erfahrung, ohne Angelerntes zu arbeiten in einer Weise, die ich selbst zunächst nicht kenne. Die banale Nachahmungsästhetik - wie heute in der hochauflösenden Fotografie und HD-Fernsehbildern zu finden - , von der unsere Ästhetik dank der sklavischen Abhängigkeit unseres gesamten Bildungsinhaltes von aristotelischen Begriffen nie loskam, haben uns blind gemacht für die eigentlichen psychischen Werte, die Ausgangspunkt und Ziel aller künstlerischen Produktion sind. von Wolfgang Hock 2015
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